Artikel über die Ausstellung 2010

Alfons, Farbe und Gustav Siegle

Wer kennt Alfons? Ich meine den, der mit dem Puschel-Mikrofon, seinem französischen Charme, seiner orangefarbenen Trainigsjacke und dem zerfledderten Notizblock den deutschen Eigenarten auf den Grund geht. Als hartnäckiger aber etwas naiver Interviewer, der das Nachfragen nicht scheut, ist er bei mir äußerst beliebt, zeigt er doch wie „wir“ Deutsche ticken. Er erreicht durch sein naives Fragen ehrliche Antworten und hält uns so den Spiegel vor. Zum Beispiel bei seiner Reportage über die Kehrwoche in einem schwäbischen Hochhaus: „Sie putzön, obwohl es war schon vor’er alles komplett saubör.“ Die mit dem Schrubber bewaffnete putzende schwäbische Dame erwidert: „Oh ja, muss ma‘ ja, jede Woch‘. Wenn ma‘ dran isch, muss ma ‚ putze‘, ob ma‘ will oder net.“ – „Auch wenn es saubör ist?“ – „Auch wenn’s sauber isch‘.“

Die schwäbische Kehrwoche spielt auch bei unserer Ausstellung noch eine Rolle.

Am 18. und 19. September 2010 fand die diesjährige Ausstellung des Arbeitskreises Stuttgart-Ludwigsburg mit den „besten Bonsai seiner Mitglieder“ im Lapidarium in Stuttgart statt. Die Vorbereitungen wurden in bewährter Manier wieder von unserem Vorstand geleistet. Die Logistik und damit die Umsetzung anhand der vorhandenen Ausstellungsunterlagen, war relativ schnell gemacht und musste „nur“ entsprechend angepasst und abgearbeitet werden… Der Ausstellungstermin im Lapidarium wurde schon im Frühjahr mit der Stadt Stuttgart abgeschlossen – also konnte alles beruhigt losgehen. Die wichtigen Präsentationstische wurden von allen Mitgliedern mal wieder in Rekord verdächtiger Zeit „in den Boden gerammt, zusammengesetzt,
zusammengeschraubt und aufgestellt“.

Das Lapidarium ist nur im Sommer geöffnet und wir hatten unseren Ausstellungs-Termin am letzten offenen Tag dieser Saison. Wie wir alle (Dank an Wikipedia) wissen ist:

„Lapidarium (lat. lapis, „Stein“) die Bezeichnung für eine Sammlung von Steinwerken, etwa Skulpturen, Sarkophage, Epitaphe (als Epitaphe wird ein Denkmal bezeichnet, das in einer Kirche oder ihrem Umfeld angebracht ist und an einen oder mehrere Verstorbene erinnert – weiß ich auch erst seit Wiki), Meilensteine, Grabsteine etc., die am Ausgrabungsort ausgestellt sind. Trotz der römischen Bezeichnung werden oft auch Lapidarien aus anderen Epochen zusammengestellt.“

Und wem haben wir eigentlich dieses Lapidarium mit seinem wunderschönen
Anlagen zu verdanken?

Die Geschichte beginnt mit Gustav Siegle. In Nürtingen geboren, betreibt sein Vater eine kleine Farbenfabrik. Gustav Siegle übernimmt im Jahr 1863 diese Fabrik. Siegle experimentierte vor allem mit den 1856 von William Henry Perkin entdeckten Anilinfarben und weitete somit seine Farben-Produktion mit dem neuen Produkt aus. Damit konnte man, insbesondere Baumwolle und Seide, brillant färben. Die Färberei war bis dato nur mit Naturprodukten möglich und die hatten natürlich nicht die Leuchtkraft. Mit einem weiteren Farbenfabrikanten, Rudolph Knosp brachte er sich in die Badische Anilin und Sodafabrik (BASF – hab‘ ich doch auch schon mal gehört) ein. Diese Firma wurde schon im Jahre 1865 von Friedrich Engelhorn in Mannheim gegründet, später wechselte die Firma auf die andere Rheinseite nach Ludwigshafen. Siegle war bei der BASF für die Vermarktung der Farben zuständig (heute nennt man das wohl Sales & Marketingleiter), die Büros der BASF befanden sich aber damals in Stuttgart.

Im Jahre 1889 verliess Siegle diesen Firmenverbund wieder und gründete in Stuttgart-Feuerbach eine neue Farbenfabrik. Diese spezialisierte sich auf die Herstellung von Mineral- und Lackfarben und war wirtschaftlich äußerst erfolgreich. Siegle war vom Farbenfabrikbesitzer zum Großindustriellen geworden. So konnte er etliche Beteiligungen an anderen Firmen erwerben u.a. an der Württembergische Metallwarenfabrik (WMF). Gleichwohl vergaß er seine Mitmenschen und Arbeiter nicht. So spendete er immer wieder Geld für wohltätige Zwecke, stellte zinsgünstige sowie zinslose Summen für mittelständische Gewerbetreibende (in der Hauptsache Wengerter – also Weinbauern) zur Verfügung. Im Jahre 1893 finanzierte er den Bau des ersten Krankenhauses in Feuerbach um die Gesundheitsversorgung am Firmensitz zu verbessern. Und das alles ohne gesetzlich vorgeschriebene Gesundheitsreform. Siegle starb im Alter von 65 Jahren im Jahr 1905. Im gleichen Jahr ließ Carl von Ostertag-Siegle den Park anlegen, der heute das Lapidarium beherbergt. Carl von Ostertag-Siegle (1860-1924) hatte im Jahr 1887 Margarete, die Tochter des Geheimen Kommerzienrats Gustav Siegle geheiratet und war dadurch zu einem der reichsten Männer im damaligen Königreich Württemberg geworden.

45 Jahre später, 1950, erwarb die Stadt Stuttgart die Anlage und richtete auf Initiative von Professor Gustav Wais das Städtische Lapidarium ein. Die Atmosphäre des „steinernen Gartens“ mit Terrassen, Brunnenhof und alten Bäumen ist ruhig und zauberhaft zugleich. Gerne verweilt der Besucher, zur Mittagspause etwa Angestellte des benachbarten Versicherungskonzerns, Rentner, Verliebte, oder auch zahlreiche zeichnende Zeitgenossen, an diesem einzigartigen Ort in Stuttgart. Als Vorbild des angelegten Lapidariums dienten italienische Renaissancegärten.

Doch zurück zur Ausstellung. Die Wege des Lapidariums sind mit kleinen Splitsteinen versehen die man an den Schuhen ungewollt mit auf die Treppen nimmt. Als am Samstag gegen 12.30 Uhr die Bonsai ihren Platz auf den „oben mit Brettern verschraubten Pfosten“ gefunden hatten, machte ich mich auf, die Treppen (immerhin 6 – oder doch mehr?) im Lapidarium zu kehren. Schließlich erwarteten wir Besuch und da soll die „Wohnung“ doch aufgeräumt sein. Ein zuerst leises, doch mit der Zeit lauter werdendes „Guck‘ mal den, der macht Kährwoch'“ seitens meiner Bonsaifreunde war nicht mehr zu überhören.

Und da erinnerte ich mich an erste heiße Diskussionen über die Kehrwoche im Jahr 1971 mit meinen damaligen schwäbischen Kollegen (als 19-jähriger zog es ich mich des Berufes wegen von Köln nach Stuttgart). Nachdem mir bei einer, zugegeben, nicht alkoholfreien, hitzigen Diskussion mein T-Shirt mittels einer Schere durchschnitten worden war, nehme ich die Kehrwoche bitterernst. Für unsere Fischköpfe, bzw. nördlich des Mains beheimateten Bonsai-Freunde folgende Erklärung: Bei diesem schwäbischen „Ritual samstäglichen Putzwahns“ (die Schwaben unter Ihnen bitte ich um Verzeihung, die anderen unter Ihnen werden meine Ausdrucksweise vielleicht verstehen, wenn sie den Artikel zu Ende gelesen haben) werden Sie von allen Nachbarn am Anfang argwöhnisch beäugt, wie Sie es mit dem Putzen halten. Die Hausordnung sollte daher intensivst beachtet und mögliche Unklarheiten mit den Nachbarn, oder besser dem Vermieter, besprochen werden. Wichtig ist es vor allem, die Kehrwoche öffentlich zu machen. Das heißt: wischen Sie am besten die Treppe zu Zeiten, in denen alle das Treppenhaus benützen. Sie können dabei leise vor sich hin stöhnen und einige Wassertropfen auf die Stirn träufeln um der anstrengenden Arbeit den richtigen Ausdruck zu verleihen. Wischen Sie mit dem Schrubber lautstark in alle Ecken und rumpeln Sie an viele Türen, damit jeder im Hause hört, dass hier die Kehrwoche vollzogen wird. Aber, bitte alles mit Augenmaß! Putzen Sie zuviel, wird es heißen: „Dia wellad ons wohl zoiga, dass mir Dreggsäu send?“, bleiben aber Stellen vom Putzen verschont, werden sich die Nachbarn zuraunen: „Dia miassad’s buddze au no lärna!“. (Da ich ein „Reigschmäggter“ (nicht gebürtiger Schwabe) bin, kann ich nicht dafür garantieren, dass das Schwäbisch in korrekter Schriftform wiedergegeben wurde.)

Auf jeden Fall wurde mir bescheinigt, dass ich meine Kehrwoche im Lapidarium zur Zufriedenheit der Anwesenden ausgeführt hatte. Ab 13.00 Uhr kamen unsere Gäste in Kleidern die bunt und farbenfroh waren (dank Anilin-Farben), bewunderten unsere nicht minder farbigen Bonsai, teilweise schon im Herbstlaub, fühlten sich im Lapidarium wohl (dank gekehrter Treppen) tranken Kaffee, aßen Kuchen und unterhielten sich sehr angeregt miteinander, auch über Alfons und Gustav Siegle.

Lieber Gustav, Danke für zwei wunderschöne Tage im Lapidarium Stuttgart, Danke an die Stadt Stuttgart, die eine Spende zum Unterhalt des Lapidariums erhält und Danke an alle Besucher die uns ermutigen wieder eine Ausstellung vorzubereiten. Ein spezieller Dank von mir an Wikipedia, Alfons, Farbe und Gustav, die es mir durch ihr „Tun“ ermöglichten diesen Artikel zu verfassen.

(Autor: J. Knopf)